Was jetzt?
35 Jahre deutsche Einheit: Vereint und doch zerrissen?
Kurz nach Mitternacht, am 3. Oktober 1990, sagte der damalige
Bundespräsident Richard von Weizsäcker: „Die Einheit Deutschlands ist
vollendet. Heute ist ein Tag der Freude.“ Am selben Tag wurde der Staat
DDR offiziell aufgelöst und in die Bundesrepublik aufgenommen. Aber sind
die Deutschen heute, 35 Jahre später, tatsächlich zusammengewachsen?
Eine Forsa-Umfrage hat ergeben: Über 65 Prozent der Deutschen finden, es
gibt noch Unterschiede zwischen den Menschen aus dem Osten und denen aus
dem Westen. Besonders viele Ostdeutsche haben bei der Umfrage so
geantwortet.
Der Soziologe Steffen Mau argumentiert in seinem Buch „Ungleich
vereint“, dass die deutsche Wiedervereinigung zwar politisch und
rechtlich vollzogen wurde, die tatsächliche Angleichung aber bis heute
nicht abgeschlossen ist. Die Ursachen liegen in den unterschiedlichen
historischen Erfahrungen und den „asymmetrischen Vorbedingungen“, zum
Beispiel in der Wirtschaft, die sich in der DDR und der BRD über
Jahrzehnte entwickelt hätten. Im Schnitt verdienen Ostdeutsche 17
Prozent weniger als ihre westdeutschen Kollegen. Die
Lebenshaltungskosten sind dagegen in den neuen Bundesländern nur 7
Prozent geringer. Im Osten sind 1,6 Prozent mehr Menschen arbeitslos als
im Westen, der Unterschied hat allerdings im Laufe der Zeit abgenommen.
Die Frauenerwerbsquote hingegen ist im Westen in den letzten 35 Jahren
von 58 auf 72 Prozent gestiegen und ist damit inzwischen fast so hoch
wie im Osten. Auf manchen Feldern haben sich Ost und West aber bereits
angeglichen: bei dem Zugang zu Breitbandinternet zum Beispiel und der
Gesundheitsversorgung auf dem Land. Und auch das Kulturangebot in den
größeren Städten in Ost und West ist in Menge und Qualität
vergleichbar.
Doch was ist mit dem Lebensgefühl der Menschen aus Ost und West? Trotz
formaler Gleichheit bleibe das Gefühl, nicht wirklich in
Gesamtdeutschland „angekommen“ zu sein, schreibt der Historiker
Ilko-Sascha Kowalczuk und spricht von einer „unsichtbaren Mauer in den
Köpfen“, die bis heute besteht.
In dieser monothematischen Folge von „Was jetzt?“ gehen Host Elise
Landschek und ZEIT-Redaktionsleiter Sasan Abdi-Herrle in einem
persönlichen Gespräch der Frage nach, ob sie diese unsichtbare Mauer in
ihrem Alltag und Empfinden noch wahrnehmen. Elise Landschek ist 1982 in
der DDR geboren, Sasan Abdi-Herrle 1985 in der Bundesrepublik. Beide
haben zu dem Thema bereits journalistisch gearbeitet.
Unsere Spezialfolge zur Generation der Wendekinder vom 9. November 2024
finden sie hier.
Und sonst so? Fakten zur Wiedervereinigung
Moderation und Produktion: Elise Landschek
Gast: Sasan Abdi-Herrle
Redaktion: Jannis Carmesin
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